Arthur hat keinen Witz auf Lager. Der Mann, den die Wärter aus seiner Zelle in die Kantine, den Hof der Haftanstalt und zurück in die Zelle schleppen, lebt bis auf weiteres nur in seinem eigenen Kopf. Was genau in diesem Kopf vorgeht, ist die Frage, um die sich Todd Phillips' "Joker: Folie à Deux" dreht. Griff der Regisseur im ersten Teil der Reihe mit diffusen aber immer bedeutungsschwangeren Gesten nach einem politischen Außen, richtet die Fortsetzung den Blick zurück ins Innere. So sind alle Szenen, die in den schummrigen Räumen des Arkham Asylum spielen, um das Geheimnis gebaut, das Arthur Flecks Innenleben für die Welt darstellt. Jede Szene beginnt mit der gleichen Frage: Was macht Arthur Fleck als nächstes? Wie reagiert er auf die Fragen der Psychologin? Nimmt er die Schikanen und Misshandlungen durch die von Jackie Sullivan (Brendan Gleeson) angeführten Wärter hin? Wann erzählt er ihnen einen der andauernd eingeforderten Witze? Was tut er, wenn sein Mitinsasse ihn um einen Kuss bittet?
Als Arthurs Gerichtsprozess beginnt - für die Mordserie, die er im ersten Teil beging, droht ihm die Todesstrafe -, setzt sich die Fragerei unter anderen Rahmenbedingungen fort: Wie reagiert Arthur Fleck auf den sensationsgeilen Reporter, der für ein Fernsehinterview den nächsten Skandal aus ihm herauszukitzeln gedenkt? Wie verhält er sich im Gerichtssaal, wo er mit seinen Taten und seine Opfer erneut mit ihm konfrontiert sind? Die Gerichtsverhandlung ist das Herzstück des Films. Hier wird die Vergangenheit und mit ihr die geistige Gesundheit Flecks der rechtlichen und natürlich auch gesellschaftlichen Prüfung unterzogen. Die eigentliche Frage, die das Justizspektakel, die Joaquin Phoenix' erneut gnadenlos gleichförmige schauspielerische Kabinettstückchen als Fleck/Joker stellen, ist bald eine andere: Wie viel ist tatsächlicher Wahnsinn, wie viel Charade? Und: macht das überhaupt einen Unterschied?
Todd Phillips scheint nie allzu sicher zu sein, was er mit der selbst gestellten Frage, oder gar mit Arthur Fleck und seinem Alter Ego anfangen soll. Enthob der erste Teil den Joker seiner Comic-Herkunft, um ihm mit großer Geste einen neuen Platz in der Popkultur zuzuweisen, sucht "Folie à Deux" händeringend nach Mitteln, um besagten Platz zu zementieren. Die Welt der DC Comics steht noch als Krücke bereit. Ein selbstgefälliger Harvey Dent (Harry Lawtey) vertritt den Staat gegen Fleck und natürlich ist da die nur unzureichend hinter dem Spitznamen 'Lee' verborgene Harley Quinn (Lady Gaga). Sie ist Flecks neuer Lebensinhalt, die Frau, die die Musik zurückbringt, ihn aus dem Stupor reißt, um mit ihm in Fantasie und echter Welt über die selbsterfundenen Bühnen zu kreisen.
Um die wahnsinnige Liebelei im Zentrum des Films tummelt sich Phillips' noch immer diffuse, und ebenso unüberhörbare Vision einer "echten" Welt. Aufstände begleiten den in New York (und eben nicht Gotham City!) abgehaltenen Prozess. Im Gerichtssaal selbst lauert ein Querschnitt der Gesellschaft, die jederzeit bereit ist, nicht nur den Mörder Arthur Fleck für seine nervösen Ticks (Phoenix' hysterisches Lachen ist auch diesmal die Mutter aller nach außen dringenden Eigentümlichkeiten), sondern auch den kleinwüchsigen Gary (Leigh Gill) auszulachen, während er den für ihn schier endlosen Weg in den Zeugenstand auf sich nimmt. Fleck springt als Joker auf den Zug auf, um gleich wieder Tränen in den Augen zu haben, als ihn der frühere Freund daran erinnert, dass allein er, Arthur, ihn damals nie gedemütigt habe. Aus dem Radio gibt es den nächsten passgenauen Beitrag: die Aufstände um den Prozess seien das Resultat eines Staates, der seine soziale Fürsorgepflicht gänzlich aufgekündigt hat.
Irgendwie knüpft das alles irgendwo an, fragt, um noch einmal gefragt zu haben, ob Fleck der Unmensch zuerst da war oder vielleicht doch lediglich einen Fleck inmitten der unmenschlichen Gesellschaft abgibt. Wirklich Zug hat aber erst einmal nichts davon. Der Film, der die Welt in der Tagline als Bühne behauptet, schlurft meist kraftlos zwischen Gerichtssaal und Maßregelvollzug hin und her.
Schade. Ist das zum Musical ausartende Courtroom-Drama doch eine adäquate Form für das Psychogramm des mörderischen armen Wurms mit Comicwurzeln, der nur hier weg und in die Arme einer Geliebten fallen möchte, aber in der diegetischen und tatsächlichen Welt als Dreh- und Angelpunkt absurder Diskurse herhalten muss. Das Musical als Parallelwelt: Das ist denn auch die eine Idee, die Phillips nicht auf halber Strecke verliert, sondern mit tatsächlicher Entschlossenheit verfolgt. Während geistige Gesundheit diskutiert, attestiert und abgeschrieben wird, taucht der Film in fremde Welten ab, lässt Phoenix allein im Spotlight der vom Joker imaginierten Bühnen, die mal einfaches Spotlight, mal buntes 1970er-Fernsehstudio und mal Dächer über dem Broadway sind.
Schön sieht das aus und besonders im Duett mit Lady Gaga, die den Film über weite Strecken trägt, klingt es auch schön. Von einem "Shallow"-Moment à la "A Star is Born" ist der Film freilich meilenweit entfernt. Denn so toll das Szenenbild glänzt, so eindrücklich Phoenix einen Pseudo-Johnny-Cash-Bass aus dem abgemagerten Leib Arthur Flecks presst, so behende Lady Gaga ihn als Harley durch die Szenen leitet: als Musical-Nummer bleibt das doch immer wieder verdammt statisch. Phillips bekommt keine Energie hinter das Mental-Illness-Pathos seiner im Geiste des Protagonisten zusammengebastelten Bühnenshows. Sie treffen alle möglichen Töne, schlurfen anschließend aber doch immer nur im trägen Foxtrott zurück in die Ausgangsstellung.
Karsten Munt
Joker: Folie à Deux - USA 2024 - Regie: Todd Philips - Darsteller: Joaquin Phoenix, Lady Gaga, Zazie Beetz, Harry Lawtey, Jacob Lofland, Brendan Gleeson - Laufzeit: 139 Minuten.